Oberwart/Burgenland (Österreich)

Karte von Oberwarthttp://www.zamg.ac.at/zamgWeb/wetter/staedtewetter/img/maps/burgenland.jpg      Die Bezirkshauptstadt Oberwart/Felsöör ist heute zweitgrößter Ort des Burgenlandes mit derzeit ca. 7.000 Einwohnern (Kartenskizzen 'Österreich' mit Burgenland gelb markiert und 'Burgenland', aus: zamg.ac.at und Ortsschild, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

Unter den burgenländischen jüdischen Gemeinden nahm die Oberwarter Gemeinde eine Sonderstellung ein: sie war die jüngste und zudem durch eine nicht-orthodoxe (neologe) Ausrichtung geprägt.

Anders als in den meisten anderen burgenländischen Gemeinden lässt sich in Oberwart (ung. Felsöör) erst ab den 1820er Jahren eine jüdische Population nachweisen; 1868 gründete sich in Oberwart eine Filialgemeinde der israelitischen Kultusgemeinde von (Stadt)Schlaining.

Die wirtschaftliche Entwicklung Oberwarts zum regionalen Markt- und Handelszentrum ließ jüdische Familien zuziehen, vor allem aus Schlaining; auch die neue Eisenbahnanbindung des Ortes verstärkte noch die Tendenz zur Ansiedlung. Die zugezogenen Juden waren dann maßgeblich am damals prosperierenden Wirtschaftsleben der Stadt beteiligt; so war z.B. der Handel mit Textilien von jüdischen Gewerbetreibenden dominiert.

Eine Synagoge wurde im Jahre 1904 gebaut und eingeweiht; die Festpredigt bei der Einweihungsfeier hielt der Oberrabbiner Dr. Bela Bernstein aus Steinamanger (ung. Szombathely).

 Jüdische Gemeinde: Synagoge mit Rabbinatshaus (Ambrosigasse 13 und 11) |  Momentothek Oberwart Jüdische Gemeinde: Synagoge

Synagoge in Oberwart (hist. Postkarte) und virtuelle Rekonstruktion (Abb. aus: Simon Hosemann, Diplomarbeit 2015)

Für die jüdischen Kinder war auch eine eigene Schule vorhanden.

Ehem. jüdische Schule, derzeit Berufsinformationszentrum Ehem. jüdisches Schulgebäude (Aufn. U., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 at)

Verstorbene Juden fanden auf einem Areal des hiesigen kommunalen Friedhofs ihre letzte Ruhe; dessen Anlage erfolgte erst in den 1920er Jahren.

Jüdischer Friedhof Oberwart (Aufn. Stefan, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Juden in Oberwart:

         --- 1824 .........................    3 Juden,

    --- 1846 .........................   14   “  , 

    --- 1857 .........................   10   "  , 

    --- 1868 .........................   16   “  ,

    --- 1874 .........................   46   "  ,

    --- 1880 .........................   75   “  ,

    --- 1890 .........................  101   “  ,

    --- 1900 .........................  113   “  , 

--- 1910 .........................  108   “  ,

    --- 1920 .........................   89   “  ,

    --- 1930 ..................... ca.   20 jüdische Familien,

    --- 1934 .........................  138 Juden,

      --- 1938(März) ...................  171   "  ,

           (Dez.) ....................   keine.           Anm.: Die demographischen Angaben weichen in den verschiedenen Publikationen voneinander ab.           

Angaben aus: Peter Csoknyai, Statistische Daten, in: L. Trieber (Hrg.), Die Obere Wart, Oberwart 1977, S. 293 f.

und                 Ursula Mindler, Grenz-Setzungen im Zusammenleben ...

                       Oberwart war die einzige Kultusgemeinde des Burgenlandes, die bis Anfang der 1930er Jahre einen Anstieg ihrer Angehörigenzahl verzeichnen konnte.

 

Gegen Ende des 19.Jahrhunderts nahm die Zahl der in Schlaining lebenden Juden stark ab, dagegen wuchs die Zahl der Juden in Oberwart. Jahre später setzten die Oberwarter Juden ihren Anspruch auf den Status einer autonomen Kultusgemeinde durch; sie bildeten ab 1930 offiziell eine selbstständige Gemeinde; der Rabbiner von Schlaining, Dr. Felix Blau, war bereits Anfang der 1920er Jahre nach Oberwart übergesiedelt. [vgl. Schlaining (Österreich)]

                  Ortsansicht von Oberwart (hist. Aufn., aus ORF)

Zu Beginn der 1930er Jahre verdienten die Oberwarter Juden ihren Lebensunterhalt vornehmlich als Händler; insgesamt gab es 15 Kaufleute, daneben auch einige Handwerker und Freiberufler. Sie waren weitgehend in die kleinstädtische Gesellschaft integriert, was beispielhaft Mitgliedschaften in lokalen Verbänden und Vereinen belegen. Die meisten ihrer Geschäfte und Wohnungen lagen in der Hauptstraße.

Kaufhaus Benö Löwy (Aufn. 1918, aus: Sammlung Alexander Mohat)

In Oberwart und seinem Umland erhielt die NSDAP ab Mitte der 1930er Jahre starken Zulauf; doch waren Übergriffe auf jüdische Bewohner bis Frühjahr 1938 eher die Ausnahme gewesen.

1938 endete dann abrupt das jüdische Gemeindeleben in Oberwart. Denn unmittelbar nach dem sog. „Anschluss“ wurden die jüdischen Kaufleute gezwungen, ihre Geschäfte aufzugeben und zusammen mit ihren Familien Oberwart zu verlassen. Der Besitz der Kultusgemeinde ging zwangsweise in Kommunaleigentum über; dazu gehörte auch das Synagogengebäude, das zum Feuerwehrgerätehaus umfunktioniert wurde.

Im Juli 1938 vermeldete „Die Tagespost“ in ihrer Ausgabe, dass im Burgenland „die Juden zur Gänze verschwunden“ seien.

Über das weitere Schicksal der Juden Oberwarts ist wenig bekannt; einige Familien konnten - via Wien - in überseeische Länder emigrieren. Diejenigen, denen eine Flucht bzw. Ausreise ins Ausland nicht mehr glückte, sind vermutlich dem Holocaust zum Opfer gefallen.

 

Nur der Friedhof und das ehemalige Synagogengebäude erinnern heute noch an die frühere jüdische Gemeinde in Oberwart.

In den 1990er Jahren wurde das einstige Synagogengebäude zur Zentralmusikschule umgebaut, zuvor war es als Feuerwehrgerätehaus genutzt worden; die restaurierte Fassade ähnelt der der einstigen Synagoge. Am Gebäude erinnert eine Gedenktafel mit den Worten:

Zum Gedenken an den Leidensweg unserer ehemaligen jüdischen Mitbürger.

Hier stand ihr Bethaus.

Es wurde 1938 von den Nationalsozialisten zerstört.

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Ehem. Synagogengebäude (links: Aufn. vor 1990 - rechts: Aufn. Th. Ledl, 2021, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

In einer Grünanlage im Stadtzentrum steht vor dem Kriegerdenkmal eine Plastik als Mahnmal für alle Opfer-Gruppen des Nationalsozialismus.      

                  Südburgenland - Oberwart Mahnmal (aus: suedburgenland.com)                                                  

Der 2015 ins Leben gerufene sog. „Gedenkweg“ - an diesem Projekt sind mehrere Institutionen und Initiativen beteiligt - soll an die Oberwarter Opfer des Nationalsozialismus erinnern; dabei dokumentiert jeder der sechs Standorte stellvertretend die Geschichte der einzelnen Opfergruppen.

Anm.: Ende März 1945 erschossen in Deutsch Schützen Mitglieder der 5. SS-Panzer-Division „Wiking“ und der Feldgendarmerie 57 vornehmlich aus Ungarn stammende jüdische Zwangsarbeiter. Dieses Kriegsverbrechen wird als „Massaker von Deutsch Schützen“ bezeichnet. Eine Gedenktafel an der St. Martinskirche und ein Gedenkstein erinnern heute an diese Untat.

 

 

In (Bad Tatzmannsdorf) – einer im Bezirk Oberwart liegenden kleinen Kommune mit derzeit ca. 1.600 Einwohnern – lassen sich seit dem 19.Jahrhundert einzelne hier ansässige jüdische Familien nachweisen. Doch war der Kurort auf Grund seiner Heilvorkommen (Moor/Thermalwasser) Ziel zahlreicher jüdischer Gäste.

Nach Traditionen soll ein jüdischer Arzt, namens Aaron,  bereits zu Anfang des 14. Jahrhunderts den ersten Heilversuch mit den Tatzmannsdorfer Quellen an einem „gichtkranken Weibe ... mit wunderbarem Erfolge vorgenommen haben“.

 

 

 

Weitere Informationen:

Peter Csoknyai, Statistische Daten, in: Ladislaus Trieber (Hrg.), Die Obere Wart, Oberwart 1977, S. 293 – 303

Gert Tschögl, Die Geschichte der Oberwarter Juden (ungedruckte Hausarbeit), Wien 1988

Gert Tschögl, Geschichte der Juden in Oberwart, in: G.Baumgartner/E.Müllner/R.Münz (Hrg.), Identität und Lebenswelt. Ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt im Burgenland, Burgenländischer Forschungstag 1988, Eisenstadt 1989, S. 116 – 127

Ursula Brustmann, Wir waren Oberwarter, so wie alle anderen. Die Juden in Oberwart 1824 – 1938, Seminararbeit am Institut für Volkskunde, Universität Wien 1991

Gerhard Baumgartner, Die Arisierung jüdischen Vermögens im Bezirk Oberwart. Eine Fallstudie, in: Rudolf Kropf (Hrg.), Juden im Grenzraum. Geschichte, Kultur und Lebenswelt der Juden im burgenländisch-westungarischen Raum ..., Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 92, S. 339 – 362

Eva Holpfer, Das Massaker an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern zu Kriegsende in Deutsch-Schützen (Burgenland) und seine gerichtliche Ahndung durch die österreichische Volksgerichtsbarkeit, in: "Holocaust- Hefte", No. 12/1999, Hrg. Ungarische Auschwitz Stiftung, Budapest, S. 43 – 70

www.vhs.a-busisness.co.at.

Informationen der Burgenländischen Forschungsgesellschaft, Eisenstadt 2005

Peter F.N. Hörz, Jüdische Kultur im Burgenland. Historische Fragmente – volkskundliche Analysen, in: "Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien", Band 26, Wien 2005, S. 391 – 405

Ursula Mindler, „Ich hatte viel zu erzählen, aber dazu sage ich nichts ...“ Oberwart 1938, Oberwart 2008

Ursula Mindler, Grenz-Setzungen im Zusammenleben. Verortungen jüdischer Geschichte in der ungarischen/österreichischen Provinz am Beispiel Oberwart/Felsöör, in: "Schriften des Centrums für Jüdische Studien", Band 20, Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2011

Ursula Mindler, Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör (Dissertation), Verlag Edition lex Liszt 12, Oberwart 2013

Gedenkweg Oberwart - Zur Erinnerung an die jüdische Bevölkerung Oberwarts, online abrufbar unter: gedenkweg.at/index.php/gedenkweg-oberwart

Simon Hosemann,Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Oberwart/Felsőőr. Diplomarbeit, Technische Universität Wien, Wien 2015

Burgenländische Forschungsgesellschaft (Hrg.), Jüdische Kulturwege im Burgenland – Rundgänge durch die „Sieben Gemeinden“ (Schewa Kehillot) und die Gemeinden des Südburgenlandes, Broschüre, 1. Aufl., Eisenstadt 2016, S. 32/33 (auch online abrufbar unter: forschungsgesellschaft.at)

Simon Hosemann (Bearb.), Die Synagoge von Oberwart (ung. Felsöör), in: „DAVID – jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 113/2017

Ursula K. Mindler-Steiner (Red.), Die jüdische Gemeinde von Oberwart (ung. Felsőőr), in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 135 (Dez. 2022)

Ursula Mindler-Steiner, Jüdisches Leben in Tarcsa/ (Bad) Tatzmannsdorf. Eine Spurensuche, in: P.Ernst-Kühr/D.J.Hecht/L.Hecht/G. Lamprecht (Hrg.), Geschichte erben – Judentum re-formieren, Mandelbaum Verlag 2016, S. 26 - 48

Gerd Polster (Red.), Jüdische Spurensuche im Kurort Bad Tatzmannsdorf, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 138 (Sept. 2023)